Das Ende der Tierversuche

Die Kritik an den Tierversuchen ist so alt wie die Tierversuche selbst.

Der Tierversuch als wissenschaftliche Methode wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts von dem Franzosen Claude Bernard begründet.

Er war ein begeisterter Vertreter der Vivisektion, d. h. des „wissenschaftlichen“ Versuchs am lebendigen Tier. Um Erkenntnisse über das Leben gewinnen zu können, wurden Tiere bei lebendigem Leibe aufgeschnitten, um ihre Organfunktion beobachten zu können. Damit sie nicht weglaufen konnten, wurden sie auf Bretter geschnallt oder genagelt. Da Claude Bernard viele Versuche auch zu Hause durchführte, konnte seine Frau Augenzeugin des Tuns ihres Ehemannes werden. Aus Protest gegen sein barbarisches Treiben versuchte sie seine Versuche zu sabotieren und mit Hilfe des Pariser Tierschutzverein gegen die Vivisektion vorzugehen.

Nicht nur seine Ehefrau, sondern auch einige seiner Mitarbeiter wandten sich von Bernard aufgrund seines barbarischen Schaffens ab. Einige berichteten in der Öffentlichkeit und in der Presse über ihre Erfahrungen in dem Labor von Claude Bernard. Sie sprachen ihm jegliches Mitgefühl ab und bezweifelten die Wissenschaftlichkeit und Sinnhaftigkeit seines Tuns. Die grundlegenden Thesen von Claude Bernard sind inzwischen längst vielfach widerlegt. So war ein Dogma seiner Forschung, dass „alles, was von Tieren abgeleitet ist, auch für den Menschen Gültigkeit hat“. Doch dies gilt nicht einmal zwischen einer Tierart und einer anderen Tierart. So kann ein Medikamentenwirkstoff bei einem Tier völlig harmlos sein, bei einem anderen Tier tödlich wirken und beim Menschen wieder ganz andere Auswirkungen haben. Obwohl das Wirken Claude Bernards mit vielen Widersprüchlichkeiten belegt ist, obwohl seine Einstellung zum Tier und sein Umgang mit den Tieren ein abschreckendes Beispiel für die Verrohung eines Wissenschaftlers ist und obwohl grundlegende wissenschaftliche Kernaussagen widerlegt sind, wird dennoch an dem „Vorbild Claude Bernard“ festgehalten. So gibt es von verschiedenen Universitäten Claude-Bernard-Ehrenpreise, Claude-Bernard-Medaillen u. ä.

 

Doch nicht nur die historische Grundlage der Tierversuche, sondern auch die aktuelle Praxis in den Tierversuchslaboratorien und der Tierversuch an sich, widerspricht dem, was man als „gute Wissenschaft“ bezeichnen kann. Bloße Behauptungen und Wiederholungen, Tierversuche seien unumgänglich für den wissenschaftlichen Fortschritt, sind inzwischen von den Fehlschlägen der Tierversuchsforschung eingeholt worden. So geht man beispielsweise davon aus, dass allein in Deutschland durchschnittlich alle 10 Minuten ein Mensch an den Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten stirbt, die zuvor im Tierversuch getestet worden sind. Obwohl die Presse und die Medien nicht allzu viel Aufmerksamkeit für dieses Thema übrig zu haben scheinen, reicht dennoch ein Pharmaskandal dem anderen die Hand.

Dazu einige Beispiele:

 

1) LIPOBAY

Als im August 2001 der Cholesterinsenker Lipobay wegen tödlicher Nebenwirkungen vom Markt genommen werden musste, erschütterte dies die medizinische Fachwelt. Ein Medikament, das lange Zeit als sehr zuverlässig und sicher eingeschätzt wurde, und das die Patienten mit erhöhtem Cholesterinspiegel vor den möglichen Folgen einer Gefäßverkalkung und eines Herzinfarktes schützen sollte, stellte sich als nebenwirkungsreich und tödlich heraus. Als völlig unerwartete Nebenwirkung, die im Tierversuch nicht vorher gesehen wurde, kam es zum Muskelschwund bei über 480 Patienten, wovon über 50 Patienten weltweit verstarben. Daraufhin musste die Firma Bayer das Medikament auf Druck der US-Amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA vom Markt nehmen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wies damals darauf hin, dass der Bayer-Konzern Lipobay nicht freiwillig vom Markt genommen habe, sondern erst auf Druck der FDA. Auch hier zeigt sich, was inzwischen an der Tagesordnung ist: Nicht der Tierversuch bringt Sicherheit, sondern erst die Anwendung am Menschen zeigt, wie der Mensch auf ein neues Präparat reagiert. Der Pharmakologe und Mitherausgeber des „arznei-telegramm“ Dieter Schönhöfer sagte in Verbindung mit dem Lipobay-Skandal: „Patienten werden zu Versuchskaninchen gemacht!“. Nach dem Verzicht auf den drittgrößten Umsatzbringer in der Medikamentensparte von Bayer verlor die Aktie des Leverkusener Chemiekonzerns erheblich an Wert. Auf die Kritik von Ärzten und Apothekervertretern, dass die Firma Bayer eine frühzeitige Information von Patienten verhindert habe, reagierte der Sprecher des Konzerns in einer Stellungnahme eines deutschen Nachrichtenmagazins. Er begründete, dass die Apotheker nicht vor den Börsianern informiert werden durften, um Schadensersatzklagen von Aktionären vorzubeugen. Da muss man sich die Frage stellen, ob dem Konzern die Interessen und Schadensersatzklagen der Aktionäre wichtiger waren oder sind, als die Interessen und das Wohl der Patienten.

 

2) VIOXX

Drei Jahre nach dem Lipobay-Desaster sorgte die Rücknahme des Schmerzmittels Vioxx für Aufregung. Es stellte sich damals heraus, dass Herzinfarkte, Schlaganfälle und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei der Einnahme von Vioxx nahezu doppelt so häufig auftraten wie bei der Einnahme eines Scheinmedikamentes (Placebo). Seit Rückzug des Medikamentes im September 2004 bis zum März 2006 gab es nahezu 10.000 Klagen gegen die Firma Merck und Co. (in Deutschland MSD) von Patienten und von Angehörigen von Patienten, die nach der Einnahme von Vioxx verstorben waren. Nach der Marktrücknahme von Vioxx brach der ausgewiesene Quartalsgewinn von Merck um 29 % ein. Auch bei der Erforschung dieses Medikamentes wurden zahlreiche Tiere dem vermeintlichen Wohl des Menschen „geopfert“. Doch diese Tieropfer konnten die betroffenen Menschen nicht vor ihrem Herzinfarkt oder Schlaganfall bewahren und konnten auch der Herstellerfirma die Kursniederlage nicht ersparen. Aufsehen erregte ein Artikel, der in der Fachzeitschrift „The Lancet“ im November 2004 veröffentlicht wurde. Wissenschaftler der Universität Bern haben damals darauf hingewiesen, dass bereits Ende 2000 – also bereits 4 Jahre vor der Rücknahme von Vioxx – die Herz-Kreislauf-Risiken des Medikamentes belegbar gewesen wären, und dass die Risiken unabhängig von der eingenommenen Menge und der Dauer der Einnahme bestehen. Auch hier muss die Frage erlaubt sein, welche Interessen dazu geführt haben, dass das Medikament erst nach 4 Jahren und zahlreichen Todesfällen vom Markt genommen wurde.

 

3) Die Hormonersatztherapie

Obwohl Wissenschaftler seit 60 Jahren vor dem Einsatz von künstlichen Hormonen, die im Tierversuch erforscht wurden, gewarnt haben, wurden nach den Tieren in den Tierversuchen auch zahlreiche Menschen, die die Hormone eingenommen haben, für die Interessen der Befürworter der Hormontherapie „quasi“ geopfert. So wurde in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts trotz deutlicher Warnungen das synthetische Östrogen „Stilböstrol“ an schwangere Frauen verabreicht, um einen „guten Schwangerschaftsverlauf“ zu gewährleisten. Die Folge war, dass bei den Mädchen, die von den mit Östrogenen behandelten Frauen geboren wurden, vermehrt Vaginalkrebs auftrat. Eine Krebsart, die sonst nur bei älteren Frauen vorkommt. Dies veranlasste im Jahr 1973 Dr. Miller, den damaligen Leiter der epidemiologischen Abteilung des nationalen amerikanischen Krebsforschungsinstitutes (NCI), einen Bericht über die krebsauslösende Wirkung von Stilböstrol zu veröffentlichen. Diese Veröffentlichung von Dr. Miller veranlasste daraufhin die WHO eine Warnung an die Ärzteschaft zu versenden, da es »fraglos erwiesen sei, dass das Hormonpräparat Stilböstrol beim Menschen Krebs verursacht habe«. Wer nun glaubt, die Hersteller hätten daraus eine Lehre gezogen, der hat nur teilweise Recht. Zwar wird das Medikament Stilböstrol nicht mehr in der Schwangerschaft eingesetzt, doch als neues Einsatzgebiet für die künstlichen Hormonpräparate wurden die Wechseljahre der Frau propagiert. Auch hier gab es schon lange warnende Stimmen, dass mit der Östrogengabe ein erhöhtes Brustkrebsrisiko und andere Nebenwirkungen verbunden sein könnten. Doch diese wurden nicht gehört. Mehr als zwei Jahrzehnte wurden die Warnungen vor den möglicherweise negativen Folgen der Hormonersatztherapie nicht ernst genommen. Erst vor wenigen Jahren belegte eine große englische Studie – die »Million Women Study«- das erhöhte Krebsrisiko durch die Einnahme künstlicher Hormone. Von über einer Million Frauen, die über zehn Jahre lang beobachtet wurden, erkrankten etwa 20.000 Frauen an Brustkrebs aufgrund der Hormoneinnahme. Bereits ein Jahr zuvor ergab eine große Bevölkerungsstudie aus den USA – die so genannte WHI-Studie (Women`s Health Initiative), dass durch eine bestimmte Hormonkombination (Gestagen-Östrogen-Kombination) das Herzinfarktrisiko um 29 % ansteigt.